Liebes Copinchen,
diesen Beitrag hatte ich ursprünglich als Kommentar
zu deinem Blogeintrag angefangen, stellte aber fest, dass ich mich dafür nicht kurz genug
fassen kann.
Früher wollte ich einmal unbedingt
Journalistin werden. Musste aber einsehen, dass ich für diese
Branche nicht abgebrüht genug bin. Dass ich die Chance bekam, als
Öffentlichkeitsarbeiterin im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich
zu arbeiten, fand ich einen guten Kompromiss und dachte, hier gäbe
es gewissermaßen einen „geschützten Raum“, in dem man nicht
einfach heillos ausgeliefert ist. War es doch eine Fachrichtung, in
der es häufig um Leben und Tod geht.
Als ich zum Schutz eines
sterbenskranken Patienten einmal bestimmte Aufnahmen abgelehnt habe,
bekam ich vom Journalisten gesagt: "Aber unsere Zuschauer wollen
das sehen."
Erstens: Glaube ich nicht. Denn ich bin auch Zuschauerin, und selbst wenn ich in der Minderheit bin: Ich will
nicht alles sehen. Denn es gibt Bilder, die bekomme ich nicht mehr
aus dem Kopf, weil das damit verbundene Ereignis so grauenhaft ist,
dass mich allein das Mitfühlen mit den Betroffenen verfolgt und
überfordert.
Zweitens: Selbst wenn es Zuschauer
gibt, die das sehen wollen – vielleicht auch nur, weil dies ihre
Art ist, mit einer Katastrophe umzugehen … dadurch wird ein Mensch
jedoch nicht automatisch zur Person des öffentlichen Lebens. Selbst
wenn die unbändige Wut einen Teil von Trauer ausmacht, und man zu
wissen meint, gegen wen man sie richten kann. Ein anderer Teil vom
Umgang mit Trauer und Schock ist das Stöbern nach Informationen, um
etwas, irgendetwas aufzutun, was das Unbegreifliche fassbarer macht.
Am schlimmsten ist für mich, dass die
sogenannte „Schwarmintelligenz“ sich auf die jüngsten Gerüchte
stürzt (möglichst als Quelle die Bildzeitung nennend), ohne
abzuwarten, ob dies auch offizieller Bestätigung standhält. Und
dass aus den Fakten voreilige Schlüsse gezogen werden. Dies wiederum
hat zur Folge, dass einige Journalisten meinen, der Zweck der
Nachfrage heilige die Mittel, ein entsprechendes Angebot zur
Verfügung zu stellen.
Im Beitrag „Berichterstattung zu Flug 4U9525 - Zwischen Journalismus und
Sensationslust“
schreibt Bastian Ewald:
„ […] Hysterie und wütende Spekulation sind in diesem Moment
die wohl schlechteste Option: Sie zeugen vielmehr von der
Unfähigkeit, echtes Mitleid und Empathie zu formulieren.
Aber unter zahlreichen Reaktionen im Netz findet sich so etwas,
wie ein gemeinschaftliches Mitgefühl - und das verständliche
Bedürfnis nach Aufklärung und Einordnung des Geschehenen. Und genau
das sollte Berichterstattung bedienen.
Grenzen muss es geben, richtig. Tabus nicht. Dazu müssen auch
Journalisten immer wieder ihre Arbeit hinterfragen: Was müssen wir
erfahren?
[…]
Wir alle müssen diese Grenze dort ziehen, wo Betroffene
empfindlich in ihrer Privatsphäre verletzt, in Angst und Schmerz der
Öffentlichkeit präsentiert werden. Ignorieren sollten wir deren
Schicksale und Emotionen jedoch nicht, denn das zeichnet
(Mit-)Menschlichkeit aus. [...]“
Insofern finde ich es einen guten
Schritt von Germanwings, die Angehörigen (alle! Angehörigen) vor
Anfragen der Presse zu schützen und das öffentliche Interesse über
die Pressestellen zu filtern und kanalisieren.
Die Würde des Menschen ist
unantastbar. Auch wenn das dem „Schwarm“ nicht schmeckt. Dies war
nicht der Hintergrund, vor dem „Je suis Charlie“ für die
Pressefreiheit aufgestanden ist.
Die Öffentlichkeitsarbeit habe ich
übrigens kurz nach der eingangs erwähnten Szene aufgegeben.
Anscheinend bin ich nicht einmal dafür abgebrüht genug. Mir scheint
fast, als Einsiedlerin, die auf eine Öffentlichkeit weitgehend ganz verzichtet, bin ich am besten aufgehoben.
Ich würde in meiner Einsiedelei auch
Gästebetten zur Verfügung stellen für Mitmenschen, die mal eine
Pause von „der Gesellschaft“ brauchen.
Mit ganz herzlichen Grüßen
Deine Nel