Der gestreifte Mitbewohner hatte eine
Woche lang Hausarrest. Für den sehr engagierten Freigänger ist das
die Höchststrafe, aber er hatte eine Augenentzündung. Die Tante
Tierarzt meinte zu Recht, jemand, der nur noch ein Auge hat, sollte
besonders gut drauf aufpassen. Deshalb wurde dem Tiger der gelbe
Zettel verpasst und die Jagdausflüge sowie die Tigerstreife durchs
Revier bis auf weiteres gestrichen. Man hätte unterstellen können,
die Tante Tierarzt hat nicht gewusst, was sie mir mit einem
eingeknasteten Mitbewohner antut, aber da muss ich sie in Schutz
nehmen: Sie ist, was den Tiger angeht, durchaus kampfsporterprobt.
Womit wir nicht gerechnet hatten, war,
dass der Kater seine Stimme entdeckte. Der sonst so maulfaule
Zeitgenosse sang einen Tag lang Opern – vor allem die
"Sesam-öffne-dich"-Arie vor der Katzenklappe, das
"Mein-Mensch-ist-verblödet"-Lamento und immer wieder
mehrstimmig aus einer Kehle den Gefangenenchor. Leider im nach oben
offenen Crescendo. Ich hatte schon den Verdacht, er wollte damit das
Fensterglas zum Bersten bringen.
Ein Tinnitus kündigte sich an, und
bevor mein Gehör bleibende Schäden davontrug, verordnete ich dem
Kater ein "Omm."
Gewissenhaft studierte er das Werk
(hatte ja nix besseres zu tun, nä?), fungierte das Krankenlager zum
Trainingslager um und widmete sich der fernöstlichen Meditation:
Position: "West-östlicher Diwan"
Von der neu gewonnen Gelassenheit hat
er aber in dem Moment Abstand genommen, als er wieder nach draußen
durfte. Mit der Hartnäckigkeit eines Drill-Instructors hat er mich
so lange strafexerzieren lassen, bis er sicher war, dass ich den
Griff zur Türklinke auch tatsächlich wieder beherrsche. Das bei der
felinen Spezies so beliebte Lass-mich-rein-lass-mich-raus-Spiel mit
drei Türen und einer Katzenklappe hält fit, da kann keiner
behaupten, Katzen seien nette Haustiere für Couch Potatos.
Allerdings hat er auch die "Stimmhilfe"
wieder eingestellt und bedient den "Türöffner" wieder wie
üblich mit einem vorwurfsvollen Blick. Ist doch auch was.
Hm ... hm ... ist der Gefangenenchor nicht überhaupt komponiert worden, um den Geknechteten eine Stimme zu geben? Und wenn er sich von denen, die gemeint sind, ohne Gesangsausbildung mitquietschen lässt und von jenen, die er erreichen soll, problemlos verstanden wird, dann ist doch der Kunst schönste Bestimmung erfüllt.
AntwortenLöschenAch *seufz*, bei uns daheim hat man leider so gar nichts mit abendländischen Vokalwerken am Hut.