Donnerstag, 29. September 2011

Ein blindes Huhn findet ein Bild

"Buchstaben und Bilder" hatte ich gesagt, und ich hatte auch ganz ordentlich mit dem A angefangen. Nun B wie Bild.

Wie ich zu den Buchstaben kam, habe ich noch gut im Gedächtnis. Aber ich kann mich nicht erinnern, ein entsprechendes "A"-Erlebnis gehabt zu haben, was die Bilder angeht. Auf der Suche danach bin ich in mein Archiv abgetaucht, um mir vielleicht die Anfänge vor Augen führen zu können.

Meine bildende Kunst aus der Schule ist nicht wert, sie unter den Begriffen "Bild" oder "Kunst" zu erwähnen. In der Schule konnte also die Erleuchtung nicht stattgefunden haben. Aber vielleicht ist es hier passiert: Ich kam aus dem Schüleraustausch heim mit dem Material aus der von Mama geliehenen Kompaktkamera. Bisher hatte ich nicht ernsthaft fotografiert. Die Weißt-du-noch-Bilder waren, ach ja, meistens scharf gewesen – immerhin. Anders als mein fotografisch versierter Vater brauchte ich auch nicht einen Film pro Tag. (Ja, das war noch das analoge Zeitalter, und jetzt rechnet nach, liebe Leser ...)

Meine Familie hörte sich also zu meinen Erinnerungsfotos die Geschichten an, und dann kam das hier:


Mein Vater sah mich nur an. Ich fing an zu stottern: "Du hast mir gesagt, ich soll nicht direkt in die Sonne fotografieren, und das hab ich doch nicht. Ich hab extra dran vorbei fotografiert. Aber ich wollte doch ein Bild vom Strand machen, und egal wo ich war, kam mir das Licht entgegen ..." Er schüttelte nur den Kopf und antwortete: "Gutes Bild. Und das mit der Hausfrauenkamera."

"Hey!" sagte Mama nur, und Papa beeilte sich zu erklären: "Ich mein ja nur mit ohne Zoom und keinen Einstellmöglichkeiten und so." Und dann machte er mir ein ganz großes Geschenk: Ich durfte ihn bei seinen Fototouren begleiten und über die Schulter schauen, um sehen zu lernen.

Die Welt ist voller Bilder. Ich musste bloß die Augen aufmachen.

Dienstag, 27. September 2011

Am Anfang war das A

Ob meine Eltern sich jemals gefragt haben, warum ich so viel Zeit im Badezimmer verbrachte? Die Antwort war einfach. Ich war im Bad, um zu lesen. Ich konnte Stunden lesend vor der Waschmaschine verbringen. Dabei las ich nicht etwas und saß dabei vor der Waschmaschine, sondern ich las die Waschmaschine selbst.


L-A-V-A-M-A-T.


Die A-s hatten es mir angetan. Als ich begriff, dass auch anderswo auf der Welt A-s vorkamen, erschloss sich mir eine völlig neue Welt. 
 

Jeden Tag entbrannte zwischen mir und meinem Vater der Kampf um die Zeitung. Hätte er nicht das Handelsblatt bezogen, sondern die Zeit oder die Süddeutsche, wäre er in seiner Lektüre von mir nicht gestört worden.


Erst als ich meinem Großvater helfen durfte, Kreuzworträtsel zu lösen, begann der Flirt mit den anderen Buchstaben des Alphabets, ich lernte richtig lesen und mir wurde bewusst, dass ein A zwar in Harmonie und Ästhetik unübertroffen ist, man aber allein mit A nur eingeschränkte Möglichkeiten hat.


Der Lavamat ist zwar längst im Waschmaschinenhimmel, aber immer noch ist da die Liebe zu Wörtern mit dem Kammerton und die Freude an ihrem Klang.


Außerdem schließe ich jede Wette ab, dass kein anderer Mensch auf dieser Welt von sich behaupten kann: 
 

"Mein erstes Buch war eine Waschmaschine."



Dieser Text ist 2007 entstanden als Übung im Seminar "Kreatives Schreiben" beim ARD/ZDF-Drehbuchcamp. Die Aufgabe war: "Wann war mein erstes bewusstes Erleben von Sprache?"